Montag, 6. Juli 2009

"Kleine Brötchen backen" sieht anders aus...

Es war soweit. Über zweieinhalb Jahre nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens, über zwei Jahre nach Vorlage der Anklageschrift sollte heute am AG Dresden vor etwa 80 ZuschauerInnen wegen "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen", § 86a StGB, gegen einen Antimilitaristen verhandelt werden. Allein der zeitliche Ablauf - von der Konstruktion der Anklage ganz zu schweigen - hätte für das Gericht einen Grund abgeben können, kleine Brötchen zu backen. Doch Richterin Fahlberg ließ das Verfahren erst eskalieren, dann nach einer halben Stunde platzen - "weil ich es vor meinem Urlaub nicht mehr zuende krieg". Was war geschehen?

Es war heiß in Dresden. Sehr heiß. Vielleicht bekam die Hitze der RiAG Fahlberg nicht so, vielleicht war sie sowieso schon gestresst, da sie sich gedanklich in ihren Urlaubsvorbereitungen befand - man weiß es nicht. Als sie den Saal 159 des Amtsgerichts Dresden betritt, seitlich von hinten nach vorne durchmarschierend, das Publikum hatte sie kaum wahrnehmen können, da wedelte sie mit der linken Hand herum und zischte erst einmal ein "Würden sich alle mal erheben bitte!" in den Raum - man kann vom Aufstehen halten was man will, aber in einer solch "herrischen" Geste steckte großes unangenehmes Potential. Der Eindruck sollte sich verschärfen...

Der Saal war zu klein für das Publikum, man beschloss geschwind umzuziehen ins Erdgeschoss, was zunächst einmal Abkühlung erhoffen ließ - zumindest die Temperaturen waren in Saal 21 mindestens 5 Grad geringer. Dort belehrte die Richterin dann zunächst das Publikum, wie man sich im Gericht zu benehmen habe. Ganze vier Minuten lang verlief das Verfahren dann in geordneten Bahnen, es wurden die Personalien des Angeklagten aufgenommen, die Anklage wurde verlesen. Dann hätte es zu Jörgs Einlassung kommen sollen. Doch die Richterin machte sofort klar - Zeit wollte sie dafür keine einräumen: "Aber bitte gestrafft!"

Und nun wurde es absurd: Jörg erhob sich, da er seine Einlassung stehend vortragen wollte. Vieles haben wir erlebt zur Frage sitzender Angeklagter, wenn das Gericht den Angeklagten stehend sehen will. Aber dass ein Angeklagter aus Gründen der besseren Redefreiheit stehen möchte, und ihm dies sofort untersagt wird - das nun doch noch nicht. RiAG Fahlberg: "Ich möchte bitte, dass Sie sitzen!". Staatsanwalt Muck: "Ja, setzen Sie sich hin!" (noch 1970 bestanden einzelne Richter darauf, dass der Angeklagte auch bei der Einlassung stehe!). Wir waren anderthalb Sekunden schlicht sprachlos. Warum Jörg denn überhaupt stehen wolle? Um besser reden zu können, so Jörg, und zudem könnten ihn sonst in dem (sehr großen) Saal evtl. die hinteren Reihen kaum verstehen. Was Fahlberg zur schnippischen Bemerkung hinriss, für wen denn die Einlassung gedacht sei, für sie oder für das Publikum? Die korrekte Antwort - immerhin soll das Publikum die Öffentlichkeit repräsentieren - kam aus dem Publikum selbst: "Na, für alle!" Grund genug für Richterin Fahlberg, im Falle "noch weiterer Zwischenrufe" die Person dann entfernen zu lassen. Soviel Geduld wollte StA Muck nicht aufbringen: "Können wir die Personalien aufnehmen lassen und dann raus!?" Dankbar für diese Anregung verließ die Richterin den Saal und brachte wenige Minuten später zwei Wachtmeister mit, die nun die Aufgabe hatten, aus zwei verschiedenen Blickwinkeln das Publikum im Auge zu behalten. Der erste Zwischenrufer konnte allerdings nicht mehr identifiziert werden.

Wer aufmerksam mitgelesen hat, hat es gemerkt: Von der Einlassung war noch kein Wort gefallen. Weitere zwei Minuten verstrichen, bis sich Richterin und Staatsanwalt (erstere an letzteren: "Akzeptieren wir das jetzt?") auf einen stehenden Angeklagten verständigen konnten (hier eine kurze Referenz stehender Angeklagter, mit der Gerichte kein Problem hatten: Siegfried N., Jochen S., Joseph Ackermann). Aber weit kam Jörg nicht. Genau genommen nicht weiter als bis zum Ende des Tucholsky-Zitats, welches unserem ersten Blogbeitrag vorangestellt ist. Dann unterbrach Frau Fahlberg und meinte, Jörg könne sich "zu dem Vorwurf, aber nicht mit Zitaten" einlassen. Das Zitat war ja nun beendet, dennoch durfte Jörg nicht weitersprechen, da die Richterin sich gar nicht mehr darüber einkriegen konnte, was sie denn alles nicht hören wollte, und was zu sagen gerade so erlaubt sei.

Es folgte ein weiterer Zwischenruf aus dem Publikum: "Also ich würd's gern hören." Das war zuviel! Der Zuschauer wurde vom Wachtmeister (der tatsächlich sich um einen Sitzplatz verguckt hatte) hinausgeführt. Um die überflüssige Diskussion, was denn nun gesagt werden dürfe und was nicht (die wir in dieser extremen Art und Weise in den 18 Jahren unserer Strafprozesserfahrung noch nicht erlebt haben), schlugen wir vor, dass die Richterin doch Jörg nun reden lassen solle, und wenn es ihr zuviel werde, möge sie ihm doch einfach das Wort entziehen.

Da hatten wir sie wohl aufs Glatteis geschubst. Anstatt hierauf einzugehen, beschloss sie, das Verfahren zu unterbrechen, mit der Begründung "weil ich es vor meinem Urlaub nicht mehr hinkrieg". Warum heute nicht weiterverhandelt werden sollte - es war gerade einmal 14:00 Uhr -, war nicht in Erfahrung zu bringen. Die Frage, vor der das Gericht nun stand, war keine andere, als die, vor der das Gericht beim nächsten Termin stehen wird.

Dass die Sache ein Nachspiel haben wird, ist sicherlich verständlich. Update erfolgt daher in wenigen Tagen...

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