Dienstag, 22. Dezember 2009

StA Dresden kann's nicht lassen: Rechtsmittel im "Zapfenstreich"-Prozess (§ 86a StGB) eingelegt

Im Verfahren wegen der kritischen Verwendung von SS-Runen auf einem antimilitaristischen Plakat in Dresden, das letzte Woche am AG DD nach bisher über dreijähriger Dauer seit Beginn der Ermittlungen mit einem Freispruch endete, hat die Staatsanwaltschaft es sich nicht nehmen lassen und Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt.

Man wird abwarten müssen, ob sie das Rechtsmittel nach dem schriftlichen Urteil des Amtsgerichts aufrecht erhält. Abgesehen davon, dass es schon eher peinlich anmutet, dass die Staatsanwaltschaft nicht stille schweigt nach diesem politischen Verfahren und froh ist, die Sache im Sande verlaufen lassen zu können - begrüßen wir die Entscheidung. Denn: Zum einen muss Richterin Fahlberg nun ein ausführliches, möglichst revisionssicheres Urteil schreiben, abgekürzte Gründe nach § 267 Abs. 4 StPO sind damit dahin. Hätte sie dermaleinst die Anklage gar nicht zugelassen, hätte sie sich das Leben wirklich einfacher machen können, aber spät rächt sich, was ein Fehler ist... Hält die StA dann das (nach Angaben der Geschäftsstelle des Amtsgericht als Revision bezeichnete) Rechtsmittel wirklich aufrecht, so dürfte es - wenn denn die Gründe im schriftlichen Urteil etwas ausführlicher und besser sind, als in der mehr als knappen mündlichen Urteilsbegründung - eine weitere positive OLG-Entscheidung zur Frage der kritischen Verwendung von "Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" geben. Auch das wäre letztlich zu begrüßen, denn die alleinige Meinung eines AG Dresden interessiert global ja doch eher weniger.

Alles in allem: Ein zwar zum Fremdschämen Anlass gebendes, aber dennoch dankbar angenommenes Weihnachtsgeschenk der Staatsanwaltschaft an den Angeklagten.

Montag, 14. Dezember 2009

Freispruch im Dresdner "Zapfenstreich"-Prozess: Kritische Verwendung von SS-Runen kein Verstoß gg. § 86a StGB

"Schön" sieht anders aus. Die Richterin Karin Fahlberg hatte schweres Geschütz auffahren lassen, zahlreiche Justizwachtmeister und Polizei waren zusammengekommen, es gab einen eigens aufgebauten Metalldetektor vor dem Verhandlungssaal, und das Verfahren fand im zu kleinen Raum 159 statt, der gerade einmal 33 Sitzplätze bot; im sehr viel größeren Saal 21 des Amtsgerichts hatte man - nach unserer Bitte, die Sache in dem größten Saal stattfinden zu lassen - zwei Verhandlungen terminiert, die nun so gar keine Öffentlichkeit in Anspruch nahmen: Eine wegen "Verletzung der Buchführungspflicht" sowie eine wegen "Vorsätzlicher Insolvenzverschleppung". Grund genug, der Öffentlichkeit im vorliegenden Verfahren klare Schranken aufzuerlegen, aber wie sagte doch schon der Richter im Prozess gegen Robert Havemann 1979, als dieser darum bat, einen größeren Verhandlungssaal festzulegen: "Durch den Vorsitzenden wurden diese provokatorischen Forderungen mit dem Bemerken zurückgewiesen, dass es ausschließlich seine Angelegenheit sei, den Verhandlungssaal auszuwählen." Ausschließlich die Angelegenheit von Frau Fahlberg war es auch, ihrer Befangenheit durch die ausführliche "sitzungspolizeiliche Anordnung" noch einmal Nachdruck zu verleihen.

Da es zu den - ja auch nur sehr marginalen - Unruhen im letzten Hauptverhandlungstermin nur gekommen war, da die Richterin meinte, sich über die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren hinwegsetzen und dem Angeklagten befehlen zu können, bei der Einlassung sitzen zu bleiben, gab es natürlich für eine solche sitzungspolizeiliche Anordnung eigentlich keinen Spielraum. Und als Jörg in seiner Einlassung (stehend, und diesmal ohne Diskussion hierum) dem Gericht Abbildungen von - weiterhin verwendeten - NS-Symbolen vorhielt, schaute die Richterin demonstrativ weg. Auch dies selbstredend ein Zeichen ihrer Befangenheit, die ja auch nach dem letzten Termin gar nicht mehr ernsthaft zur Diskussion stand. Aber, alle Beteiligten hatten an diesem Tag am Ende wohl ein Ziel gemeinsam: Augen zu und durch.

So hatte die Staatsanwaltschaft diesmal auch darauf verzichtet, Herrn Muck zu schicken, immerhin. Wir deuten das mal als ein kleines Zeichen, die ohnehin peinliche Geschichte nicht noch weiter eskalieren zu wollen. Die Anklagebehörde wurde nunmehr von Ute Schmerler-Kreuzer vertreten, die zwar Jörg einmal in seine Einlassung hinein redete und diese lieber abgebrochen sehen wollte, sich aber ansonsten eher zurück hielt.

Jörg erläuterte in einer Stunde die Hintergründe des Verfahrens: Wie die Stadt 2006 versucht hatte, die Demonstration gegen den Großen Zapfenstreich zu verhindern, welchen Einfluss solche Veranstaltungen durch das Militär im Alltag haben sollen, welche historischen Kontinuitäten es zwischen Wehrmacht und Bundeswehr gibt und, insbesondere, wie gerade etwa Hakenkreuze von "ehemaligen Kameraden" verwendet werden bei Veranstaltungen, die auch von der Bundeswehr unterstützt werden, vgl. etwa die Dokumentation zur "Brendtenfeier" in Mittenwald und den Protesten dagegen.

Staatsanwältin Schmerler-Kreuzer beantragte dann eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen (à 10 EUR). Ihre - ob man das lustig findet, sei den LeserInnen anheim gestellt - These lautete, dass der Bundesgerichtshof 2007 nur solche Kennzeichen für straffrei erklärt habe, die sich unmittelbar gegen den Nationalsozialismus oder etwa die Wehrmacht richteten. Und: Die SS-Runen in der inkriminierten Grafik seien ja auch nicht durchgestrichen gewesen...

In seinem Plädoyer durchlief Detlev dann die Geschichte der Rechtsprechung zu § 86a StGB von 1972 bis heute. Der BGH hat schon immer deutlich gemacht, dass solche Kennzeichenverwendungen nicht unter die Strafvorschrift fallen, die sich nach außen erkennbar von dem hinter dem Symbol stehenden Gedankengut distanzieren. Anhand einiger prägnanter Beispiele wurde gezeigt, dass die Staatsanwaltschaften und Untergerichte häufig bereit sind, Kennzeichenverwendungen durch Neonazis "irgendwie" durchgehen zu lassen, während immer dann, wenn mit der Verwendung solcher Kennzeichen Kritik am Staat geübt wird, die Justiz geradezu reflexartig zuzuschlagen bereit ist. Besonders deutlich wurde die willkürliche Art, mit der hier in Dresden ermittelt worden war, auch im Vergleich zum "Hitler-Gartenzwerg", von dem der Verteidiger ein Exemplar mit zur Verhandlung gebracht hatte.

Die Urteilsverkündung war dann knapp: Freispruch, da die Rechtsprechung, wie von der Verteidigung skizziert, "immer mehr" solche Darstellungen wie in der vorliegenden Sache akzeptiere - was nicht ganz richtig ist, man kann eigentlich nur sagen, dass die unteren Instanzgerichte "immer mehr" den BGH trapsen hören. Immerhin.

Doch auch die Urteilsverkündung ging nicht ganz ohne unangenehme Begleitumstände vonstatten. "Das hätte man deutlich kürzer haben können", meinte Frau Fahlberg, und das war nicht an die Staatsanwaltschaft gerichtet... Auch nicht an sich selbst, die das Verfahren zwei Jahre lang unbearbeitet hatte liegen lassen, bevor sie die Anklage überflüssigerweise zugelassen hatte; sondern die dreistündige Verhandlung war ihr wohl ein Dorn im Auge. Hätte die Richterin im Juli nicht die Frage, ob ein Angeklagter bei seiner Einlassung stehen darf, zur Machtfrage erhoben, hätte man auch die Hauptverhandlung sicherlich schon lange hinter sich haben können. "Schade, dass Sie nicht von vornherein das Vertrauen in ein deutsches Gericht haben." - ein letzter Satz, der angesichts des vorliegenden Ermittlungsverfahrens inkl. Hausdurchsuchung - angeordnet durch "ein deutsches Gericht" - und angesichts eines Angeklagten, der vor elf Jahren für über fünf Monate in Bayern wegen "Fahnenflucht" als Totaler Kriegsdienstverweigerer in U-Haft saß, mehr als unpassend war. Aber - von diesem Gericht war mehr wohl auch nicht zu erwarten...

Sonntag, 13. Dezember 2009

Das Hakenkreuz bleibt!

... auf einem Grabstein auf dem Friedhof in Wangersen, in der Nähe von Hamburg, wie das Hamburger Abendblatt am Freitag berichtete. Die Staatsanwaltschaft Stade hat, nachdem sie bereits 2008 auf das Nazi-Symbol aufmerksam gemacht worden war, nunmehr beschlossen: Kein Verstoß gegen § 86a StGB, d.h. keine strafbare "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen". Man fragt sich warum, und bekommt als Erklärung geliefert: "Da auf dem Grabstein aber außer dem Hakenkreuz weiter nichts Anstößiges, Volksverhetzendes zu sehen sei, würde gemäß den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auch Paragraf 86a nicht greifen. Resultat: Das Hakenkreuz bleibt." Verständlich ist das nicht, schon gar nicht ließe sich ein solcher Erklärungsversuch mit der Rechtsprechung zu § 86a StGB in Übereinstimmung bringen. Mehrere Schutzzwecke des § 86a StGB verletzt das Zeichen an dieser Stelle ohnehin, worauf der Redakteur hinweist, vermutlich ohne sich der juristischen Relevanz seiner Eindrücke bewusst zu sein: Das Verhindern der sog. "gruppeninternen Wirkung", also die Wirkung auf und unter (hier wohl eher: Alt-)Nazis; ebenso aber das Verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen in Einzelfällen straflos bleibt mit der Gefahr der weiteren Einbürgerung solcher Verwendungen und anschließender Problematik, ausuferndem Gebrauch Einhalt zu bieten. Und schließlich die Wahrung des politischen Friedens, die gestört sein könne, wenn sich der Eindruck aufdrängt, solche Zeichen können - von Menschen, die auch hinter dem Symbolgehalt des Zeichens stehen - wieder in der Öffentlichkeit verwendet werden. Die Diskussion in Wangersen jedenfalls geht weiter, es äußern sich etwa eine fachlich vollkommen danebenliegende Sprecherin des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz und andere...

Ortswechsel: Fast gleichzeitig findet am Montag in Dresden die Hauptverhandlung in dem 86a-Verfahren gegen Jörg Eichler statt. "Verwendetes" Symbol: Eine SS-Rune auf einem Soldatenhelm, das ganze als Teil einer Grafik, die unter den Überschriften "Vergangenheit und Gegenwart - Den Zapfenstreich-en - Wider der Militarisierung des Alltags!" zu Protesten gegen einen Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Dresden im Jahr 2006 aufrief. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zu § 86a StGB lässt sich dieses Verfahren allerdings auch nicht bringen - hat der BGH doch seit 37 Jahren immer wieder gepredigt, dass kein Verstoß gegen § 86a StGB vorliegt, wenn die Darstellung dem "Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderläuft". Zuletzt und in besonders deutlicher Weise musste der BGH diese Rechtsprechung wieder anmahnen, als es um die Verfolgung des "NixGut"-Versandhändlers ging, der u.a. durchgestrichene Hakenkreuze und ähnliche antifaschistische Symbole vertreibt.

Das Grab in Wangersen gehört der Familie von Peter Brinkmann. Dieser ist NPD-Politiker. Verfolgt wird er nicht.

Die Grafik in Dresden hat Jörg Eichler zu verantworten. Dieser ist Totaler Kriegsdienstverweigerer und seit Jahren in Dresden und darüber hinaus antimlitaristisch aktiv. Und steht am Montag vor Gericht.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Die Bestrebungen eines Staatsanwaltes, "auf einen geordneten Ablauf der Hauptverhandlung hinzuwirken"

... können - nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Dresden - z.B. so aussehen: Der Angeklagte möchte sich im Stehen einlassen, wozu er auch berechtigt ist (RiStBV Nr. 124 Abs. 2 S. 3). Die Richterin erklärt, er möge sich setzen, Gründe hat sie keine, es geht ihr wohl mehr "ums Prinzip". Staatsanwalt: "Ja, setzen Sie sich hin!"

Der Leitende Oberstaatsanwalt Klaus Rövekamp (kein Unbekannter, er hatte sich schon im Zittauer TKDV-Verfahren bemerkenswert geäußert) hat nun erklärt, dass "im Rahmen einer wertenden Gesamtschau" davon auszugehen sei, dass StA Stefan Muck in der Hauptverhandlung am 06.07.09 bestrebt gewesen sei, "auf einen geordneten Ablauf der Hauptverhandlung hinzuwirken". Hierdurch habe er "die Vorsitzende Richterin in ihrer Verhandlungsführung unterstützt". Letzteres stimmt sicherlich - aber korrekt müsste es natürlich heißen: Der StA hat die Richterin in ihrer vollkommen unsachlichen und unangemessenen Verhandlungsführung unterstützt, in dem er ebenfalls die Order an den Angeklagten ausgab, sich zu setzen, und mit weiteren Bemerkungen mehrmals über die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren hinausschoss... Für einen "geordneten Ablauf der Hauptverhandlung" hat dies sicherlich nicht gesorgt...

So hat  nun also auch die Generalstaatsanwaltschaft Herrn Muck den Segen erteilt, dass Vorschriften nicht so eng zu sehen seien. Das letzte Wort in der Sache ist das noch nicht, denn wir haben den gesamten Vorgang nunmehr dem sächsischen Justizminister vorgelegt - im Übrigen eine schöne Zusammenfassung dieses gesamten, inzwischen ja doch etwas komplex geratenen Zwischenverfahrens.

Wollen wir hoffen, dass am kommenden Montag in der neuen Hauptverhandlung der dann anwesende Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sich nicht auch entschließt, in der von der Generalstaatsanwaltschaft verstandenen Art "auf einen geordneten Ablauf der Hauptverhandlung hinzuwirken"...

Dienstag, 1. Dezember 2009

Zweiter Anlauf: AG Dresden verhandelt am 14.12. gegen Antimilitarist wg. "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen"

Vor über drei Jahren begann das 86a-Verfahren gegen Jörg Eichler mit einem lauten Paukenschlag: Einer Hausdurchsuchung mit acht BeamtInnen des LKA Sachsen. Vorwurf: Jörg habe ein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation - konkret: eine SS-Rune - verwendet, auf einer Grafik, die sich gegen die "Militarisierung des Alltages" richtete, hier in Form eines Großen Zapfenstreichs der Bundeswehr in Dresden, 2006. Die schon fast "historisch" zu nennenden Hintergründe des Verfahrens sind im allerersten Blogbeitrag nachzulesen.

Zwei Jahre nach der Erhebung der Anklage passiert schlicht nichts. Dann wurde im Mai dieses Jahres das Verfahren plötzlich eröffnet. Ein erster Hauptverhandlungstermin im Juli wurde nach 20 Minuten auch schon wieder beendet - Richterin Fahlberg legte eine Verhandlungsführung an den Tag, die nur mit äußerster Zurückhaltung als "unangemessen" zu bezeichnen war, die Sache wurde von ihr ausgesetzt; Einzelheiten sind dem seinerzeitigen Bericht zu entnehmen, eine etwas kargere Darstellung der Hauptverhandlung findet sich im offiziellen Protokoll.

Dann war wieder Ruhe. Ein erster Versuch unsererseits, mit Terminvorschlägen für ein Vorankommen in der Sache zu sorgen, blieb komplett unbeantwortet. Wir unternahmen einen entsprechenden zweiten Versuch, diesmal hatten wir eine Frist gesetzt - die heute abgelaufen wäre. Ende letzter Woche erging dann die Ladung - am Montag, dem 14.12.09, wird die Sache ab 9:00 Uhr am AG Dresden (Berliner Straße 13) erneut angegangen. Die Raumfrage ist noch offen, aber so groß ist das AG Dresden eh nicht, dass man sich dort verlaufen könnte.

Die Verhandlung ist öffentlich, und sowohl wegen des - vor dem Hintergrund der obergerichtlichen Rechtsprechung seit 1972 hierzu - absurden strafrechtlichen Vorwurfes als auch vor dem Hintergrund des strafprozessualen Verhaltens der Dresdner Justiz im gesamten Verfahren lohnt es sich sicherlich, wenn die Öffentlichkeit hier aufmerksam das Treiben der Justiz beobachtet.