Mittwoch, 10. Juni 2009

Strafverfahren gegen Antimilitarist wg. "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen"

"Krieg? Aber sehen Sie doch, in allen Ländern, wie hübsch die Soldaten marschieren; und wie nett sie blasen und tuten und trommeln; und wie schmuck sie aussehen; und wie wacker sie helfen, die organisierten Nichtstuer, wenn es einmal im Jahr einen Dammbruch zu verhüten gilt. Was haben Sie gegen das Militär --? Wir haben alles gegen das Militär, denn wir wissen, was es vorbereitet, was es ankündigt, was es bedeutet."
(Kurt Tucholsky: "Gesunder Pazifismus", 1928)

Wir schreiben das Jahr 2006. Zum 800-jährigen Geburtstag Dresdens "schenkt" die Bundeswehr der Stadt am 12. Oktober '06 einen "Großen Zapfenstreich" auf dem zentral gelegenen Altmarkt. Doch: Sie wird dort nicht allein auftreten. Wie auch sonst bei ähnlichen militaristischen Spektakeln in der Öffentlichkeit regt sich Protest, das Bündnis "Wider die Militarisierung des öffentlichen Raumes" ruft zu Kundgebung und Demonstration auf - gegen den erklärten Widerstand des Ordnungsamtes der Landeshauptstadt. Frau Bley, Leiterin der Abteilung "Grundsatzangelegenheiten", möchte die GegnerInnen per Auflagenbescheid außer Hör- und Sichtweite der Veranstaltung verbannen: "Bereits die bloße Anwesenheit von Demonstranten gegen die Bundeswehr unmittelbar gegenüber dem Veranstaltungsort würde den Sinn und die Würde des Großen Zapfenstreichs als Geschenk der Bundeswehr an das 800jährige Dresden in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen." Weiterhin, so erkennt das Ordnungsamt besonders scharfsinnig, seien auch die Grundrechte in Gefahr - aber nicht etwa die der VersammlungsteilnehmerInnen auf Demonstrationsfreiheit, sondern die "religiösen Gefühle der Soldaten, der Gäste und Zuschauer" - wenn es heißt: Helm ab zum Gebet!

Das Verwaltungsgericht Dresden hob den entsprechenden Auflagenbescheid des Ordnungsamtes zumindest in großen Teilen daraufhin auf: "Eine völlige - auch optische - Ausgrenzung der Versammlung des Antragstellers, wie sie von der Antragsgegnerin mit dieser Auflage auch bezweckt wird, wird dem Wesen der Versammlungsfreiheit jedoch nicht gerecht und ist durch den feierlichen Charakter des Großen Zapfenstreiches auch nicht geboten. Wählt die Bundeswehr für diesen Anlass einen Ort, der sich mitten im Zentrum der Landeshauptstadt Dresden und damit des öffentlichen Lebens dieser Stadt befindet, muss sie sich mit anderen, im öffentlichen Leben vertretenen, Auffassungen zu ihrer Institution und ihren Veranstaltungen abfinden." Der Zapfenstreich fand statt, der (wahrnehmbare) Protest ebenso. Ernsthafte Nachspiele zu den Ereignissen des Abends gab es nicht mehr.

Nun hatte sich aber im Vorfeld das Landeskriminalamt Sachsen - Abteilung "Politisch motivierte Kriminalität links, Verratsdelikte, Kriegsverbrechen" - im Internet auf der Mobilisierungsseite der ZapfenstreichgegnerInnen umgesehen, und war dabei auf eine Grafik gestoßen, die sie für gefährlich hielt: Dort waren unter den Überschriften "Vergangenheit und Gegenwart -- Den Zapfenstreich-en! -- Wider der Militarisierung des Alltages" mehrere Soldatenköpfe mit Helmen verschiedener Epochen abgebildet, darunter auch ein Helm, auf dem zur Verdeutlichung des ebenfalls gemeinten historischen Kontexts eine sogenannte "Doppelsigrune" abgebildet war, das Emblem der SS (welche in der Form der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg kämpfende Truppe war; nur die Waffen-SS durfte - neben der Wehrmacht - den Großen Zapfenstreich durchführen).

Zwar gab es im Herbst 2006 noch nicht die ein halbes Jahr später berühmt gewordene Entscheidung des BGH, in der dieser (noch einmal) deutlich machen musste, das nicht alles, wo "böse" draufsteht, auch böse ist. Aber bereits seit 1972 hatte der BGH wiederholt betont, dass die Strafbarkeit gem. § 86a StGB - Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen - sich an dem Schutzzweck der Norm messen lassen muss; was sich erkennbar gegen die betroffenen verfassungswidrigen Organisationen und das dahinter stehende Gedankengut richte, falle nicht unter diese Vorschrift.

Das ist dem LKA offenbar zu kompliziert. Das am 09. Oktober gefundene Emblem wird der Staatsanwalt noch am gleichen Tag unter dem Betreff "Bekämpfung von Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats" zur Anzeige gebracht. Am 10. Oktober regt Kriminaloberkomissar Steinbach vom LKA bei der Staatsanwaltschaft an, man möge doch die Wohnung des für die Internet-Domain Verantwortlichen, Jörg Eichler, durchsuchen lassen; der Durchsuchungsbeschluss wird - Gewehr bei Fuß, möchte man sagen - noch am gleichen Tag durch Richterin Weidig, AG Dresden, ausgestellt. Am 11. Oktober schließlich knüpfen sich acht(!) BeamtInnen des LKA die Wohnung von Jörg Eichler vor. Die vorgefundenen Festplatten werden gespiegelt, die Durchsuchung dauert 3 Stunden und 40 Minuten. Ach ja - gefunden wird: nichts.

Einige Monate später, am 30. Mai 2007, erhebt die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage. Nur gute zwei Monate vorher hatte der BGH in seiner "Hakenkreuz-Entscheidung" noch einmal versucht, auch dem letzten Laien den Unterschied zwischen strafbewährtem und straffreiem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aufzuzeigen. An Staatsanwältin Frohberg geht diese Erklärung - fast - spurlos vorbei; fast, da sie sich sogar in ihrer Anklage ausdrücklich auf dieses Urteil beruft. "Kaltschnäuzigkeit" nennt man das wohl.

Dann passiert zwei Jahre nichts mehr. Es scheint fast, als wolle das Gericht die Sache verjähren lassen, um sich inhaltlich nicht äußern zu müssen. Aber: Weit gefehlt. Am 18.05.2009 wird die zwei Jahre alte Anklage zugelassen.

"Startschuss" ist nun Montag, der 06. Juli 2009, um 13:30 Uhr am Amtsgericht Dresden, Berliner Straße 13; die Verhandlung ist öffentlich. In diesem Blog werden wir das Verfahren fortlaufend dokumentieren. Allein die Zulassung der Anklage lässt vermuten, dass das Amtsgericht einen hohen Verurteilungswillen besitzt - denn die Rechtsauffassung, die zu einem Freispruch führen würde, hätte bereits im Vorfeld zwingend zur Zurückweisung der Anklage führen müssen. Es steht daher zu befürchten, dass uns dieses - bereits jetzt überlange - Verfahren noch eine ganze Weile beschäftigen wird...